Die Lenkung von Messmittel bei der Herstellung von Medizinprodukten
Wir fühlen uns geehrt, einen Gastbeitrag zum Thema Lenkung von Messmitteln bei der Herstellung von Medizinprodukten in der Ausgabe 09/21 vom Polyscope veröffentlichen zu dürfen. Der Beitrag als pdf-Datei kann hier heruntergeladen werden.
***
Die Lenkung von Messmittel bei der Herstellung von Medizinprodukten
Die Überwachung von Messmittel und die Rückführbarkeit und Dokumentation von Messergebnissen sind Schlüsselthemen in der Medizinproduktebranche und Voraussetzung für die Partizipation an einer sich überdurchschnittlich dynamisch entwickelnden Industrie. Grund genug, die Anforderungen an deren Messmittelmanagement näher zu betrachten.
Die Sicherheit der Patienten und Anwender hat in der Medizinprodukteindustrie höchste Priorität und die Anforderungen an die Erzeugnisse, welche so zuverlässig und sicher wie in kaum einer anderen Branche sein müssen, sind entsprechend hoch. Das Ziel des Qualitätsmanagements für Medizinprodukte, darunter versteht sich alles, was zur Diagnose, Prävention oder Behandlung von Erkrankungen eingesetzt wird, ist die Qualität dieser Produkte zu erhalten und zu verbessern, was als unerlässlich betitelt werden kann.
Die ISO 13485 mit dem Titel «Medizinprodukte - Qualitätsmanagementsysteme -Anforderungen für regulatorische Zwecke» stellt eine Vielzahl regulatorischer sowie normativer Anforderungen an Organisationen, welche an einer oder mehreren Stufen des Lebenszyklus eines Medizinproduktes beteiligt sind – sei dies in der Entwicklung, Produktion, Lagerung, Installation, Instandhaltung oder dem Vertrieb. Die in der Norm enthaltenen Forderungen sind, obwohl die ISO 13485 ein eigenständiges Dokument ist, in weiten Teilen mit der ISO 9001 deckungsgleich und unterscheiden sich primär im Teil der Produktsicherheit und Rückverfolgbarkeit, welche im Fokus steht. Die detaillierten Forderungen, seien die an das Medical Design, die Herstellung oder Inverkehrbringen gestellt, haben aber ausnahmslos zum Ziel, die Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten kompromisslos sicherzustellen.
Lenkung von Überwachungs- und Messmitteln
Dem Messmittel, respektive deren Überwachung und Pflege, ist in der ISO 13485 das Kapitel 7.6 gewidmet. Darin ist unter anderem gefordert, dass qualitätsrelevante Messmittel kalibriert und/oder verifiziert, bei Bedarf justiert und identifizierbar sein müssen. Die Anforderungen in Bezug auf das Messmittel decken sich auch mit GMP-Richtlinien (Good Manufacturing Practice) und deren des 21 CFR part 820, welche die Kalibrierung, Justierung und Dokumentation nach festgelegten Verfahren fordert und Teil der Quality System Regulation der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) ist.
Kalibrierung & Verifizierung
Messmittel müssen, soweit zur Sicherstellung gültiger Ergebnisse, so der Wortlaut der ISO 13485, in festgelegten Abständen oder vor dem Gebrauch kalibriert und/oder verifiziert werden. Kalibrierung bedeutet, dass die angezeigten Werte des Messwerts mit dem Normal verglichen, die Messabweichung (Messgenauigkeit) dokumentiert, die Messunsicherheit berechnet und ein Kalibrierzertifikat erstellt wird. Die Verifizierung entspricht einer qualitativen Prüfung mit dem Ergebnis, dass eine konkrete Annahme erfüllt oder nicht erfüllt wird, ohne eine Aussage über die Messunsicherheit oder -abweichung zu treffen.
Der Wortlaut der Norm setzt voraus, dass Messmittel in prüfpflichtig oder nicht prüfpflichtig unterteilt sind, wobei als prüfpflichtig solche zu bewerten sind, die für sicherheits-, qualitäts- und prozessrelevante Messungen zum Einsatz kommen. Weiter bedingt dies die Definition eines Intervalls, der Festlegung in welchem Zeitabstand eine Kalibrierung oder Verifizierung erfolgt, welches individuell abhängig von Umwelteinflüssen oder der Häufigkeit der Nutzung und dem Einsatz im Prozess bestimmt wird.
Die Norm fordert weiter, dass die Kalibrierung anhand von Messnormalen, welche auf internationale oder nationale Messnormale zurückgeführt werden können, erfolgt. Die eingesetzten Normale, wenn vorhanden, oder die verwendeten Messmittel sind also zwingend durch akkreditierte Stellen, welche direkt dem nationalen Standard, in der Schweiz dem Eidgenössisches Institut für Metrologie METAS untergeordnet sind, zu kalibrieren. Ein akkreditiertes SCS-Laboratorium, welches von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle SAS begutachtet und akkreditiert ist, gewährt die metrologische Rückführbarkeit dadurch, dass Referenzgeräte durch eine ununterbrochene Kette von
Vergleichsmessungen an nationale oder internationale Standards angeschlossen sind. Die Fachkompetenz in der Berechnung von Messunsicherheiten und die Wahl des geeigneten Verfahrens ist bei nach ISO/IEC/EN 17025 akkreditieren Labors formelle anerkannt und deren Qualitätsmanagementsystem konform zu einem nach ISO/IEC 9001:2015.
Abbildung: Rückführbarkeit in der Kalibrierung
Justierung & Nachkalibrierung
Bei der Justierung wird ein Messgerät eingestellt, um eine systematische Messabweichung so weit wie notwendig zu minimieren. Sie wird notwendig, sobald bei der Erstkalibrierung die Messwerte zwischen dem Anzeigewert des Gerätes und dem Referenzgerät höher liegen als vom Anwender beschrieben. Die Konformitätsaussage des Kalibrierzertifikates wird folglich als „failed“ getroffen, was die Ausserbetriebnahme, Klassifizierung als „passed with restrictions“ oder eben Justierung zur Folge hat. Die Konformitätsaussage sei hier erwähnt, ist nicht zwingend Teil eines Kalibrierzertifikates, wird jedoch oft von Labors getroffen, um dem Anwender die Interpretation der gemessenen Werte zu vereinfachen. Bei der Justierung kann, abhängig vom Messgerät, einer oder mehrere Messpunkte justiert werden. Dadurch, dass beim Justieren im Gegensatz zum Kalibrieren effektiv ein Eingriff in das Messsystem erfolgt, ist eine Nachkalibrierung mit dem Resultat «as left» unabdingbar, da dadurch eine lückenlose Nachverfolgung aller Messergebnisse erst möglich wird.
Identifizierung & Kalibrierstatus
Zur Erfüllung der regulatorischen Anforderungen müssen Messmittel eindeutig identifizierbar sein. Nebst der eindeutigen Seriennummer, welche je Fabrikat und Hersteller jedoch sehr unterschiedlich, oft lang und komplex ist, ist eine unternehmensspezifische Nummerierung, z.B. mit Präfix gefolgt von einer fortlaufenden Nummer, sinnhaft. Die ID-Nummer kann in Form eine Prüfmittel-Klebers angebracht oder bei geeignetem Material eingraviert werden.
Der höchste Stand der technischen Entwicklung im Bezug auf die Identifizierung von Messmittel und der Aufzeigung des Kalibrierstatus, also der Angabe des Betriebsstatus basierend auf dem letzten Kalibrierdatum und dem Intervall, ist das Ausstatten des Messmittels mit einer elektronisch lesbaren ID-Nummer, wie zum Beispiel einem QR-Code, RFID-Chip oder NFC-Tags. Auf die Messmitteldaten von damit versehenen Messmittel kann mit einem Lesegerät, als solches zum Beispiel der Scanner oder die NFC Funktion eines Smartphones fungieren kann, zugegriffen werden.
Abbildung: Messmittelmanagement App mit NFC-Funktion
Aufzeichnungen über die Ergebnisse
Kalibrierzertifikate und Verifizierungsprotokolle sind gemäss ISO 13485 aufzubewahren. Unter 4.2.5 Lenkung von Aufzeichnungen ist dazu unter anderem die Aufrechterhaltung von Aufzeichnungen zum Nachweis der Konformität gefordert, die Aufbewahrungsdauer beschrieben und es ist verlangt, dass Aufzeichnungen lesbar, leicht identifizierbar und wieder auffindbar bleiben. Damit ist die Aufzeichnung und deren Aufrechterhaltung ein essenzieller Teil der Lenkung und Überwachungs- und Messmitteln und erfordert von der Organisation ein System zur Überwachung und Pflege des Messmittelparks im Sinne der Qualitätssicherung.
Ein effizientes System erleichtert die Organisation, Planung und Instandhaltung der eingesetzten Messmittel und stärkt das Messmittelmanagement. Mit einer normgerechten Messmittelüberwachung lassen sich Messmittel eindeutig identifizieren. Die Systeme bieten einen raschen Überblick über die vorhandenen Prüfmittel im Unternehmen – inklusive Bild, gerätespezifischen Dokumenten und dem Softwarestand. Sie zeigen den Kalibrierstatus, machen eine Aussage zur letzten Kalibrierung und versenden automatisch Rückrufe von fälligen Messmitteln. Die Geschichte der Geräte ist dokumentiert und rückführbar. Informationen wie der Einsatz- oder Lagerort, spezifische Dokumente zum Prüfverfahren oder Angaben zur externen Kalibrier- und Reparaturstelle lassen sich uneingeschränkt dem Messmittel digital zuordnen.
Abbildung: Prüfmitteldaten in der Messmittelüberwachungs-Software APTObase
Qualifizierte Partner
Um entsprechend der ISO 13485, der FDA und GMP den Anforderungen an die Lenkung von Messmitteln gerecht zu werden, ist der Beizug von qualifizierten und erfahrenen Partnern empfehlenswert. Denn die akkreditierte Kalibrierung von Messgeräten nach ISO/IEC 17025 und der Einsatz einer professionellen Messmittelüberwachungs-Software sind gewichtige Faktoren, wenn es darum geht, höchste Standards zu erfüllen.