Kalibrierung nicht bestanden! Wie weiter?
Im VSEK Check Nr. 153 vom Herbst 2021, der Publikation des Verband Schweizerischer Elektrokontrollen (VSEK), haben wir uns mit den Folgen einer Nichtkonformität bei der Kalibrierung befasst und unter anderem beschrieben, was Messwerte ausserhalb der Toleranz genau sind und welches mögliche Vorkehrungen sind, wenn bei der Kalibrierung die Messwerte zwischen dem Anzeigewert des Gerätes und dem Referenzgerät weiter auseinander liegen als erlaubt.
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Kalibrierung nicht bestanden! Wie weiter?
Im Wissen, dass uns kalibrierte Geräte Sicherheit für korrekte Messwerte geben, senden wir diese in regelmässigen Abständen zur Wartung ein. Doch was sind die Folgen einer Abweichung bei der Kalibrierung? Darüber sind wir uns oft zu wenig im Klaren.
Mit dem Inkrafttreten der Verordnung über elektrische Niederspannungsinstallationen (NIV) im Jahre 1989 hat die Schweizer Elektroinstallations- und Kontrollbranche erstmals eine generell-verbindliche Rechtsnorm erhalten, welche das Arbeiten an elektrischen
Niederspannungsinstallationen und die Kontrolle dieser Installationen regelt. Die Verordnung legt unter anderem fest, wer eine Installationsbewilligung benötigt, was bei der Ausführung von Installationsarbeiten gefordert ist, wer Kontrollorgane sind und wie die Zuständigkeiten geregelt werden. Die Verordnung bestimmt im Art. 27 des 1. Abschnitts unter dem 4. Kapitel auch, dass die Kontrollbewilligung ausschliesslich an Personen oder Betriebe erteilt werden, welche über geeignete und kalibrierte Mess- und Kontrollgeräte verfügen. Was jedoch geschieht, wenn bei der Kalibrierung eine Abweichung festgestellt wird, ist nirgends beschrieben.
Kalibrierung von Messgeräten
Was ist eine Abweichung bei der Kalibrierung und was sind deren Folgen? Um das besser zu verstehen, lohnt es sich, den Vorgang der Kalibrierung als solches zu beleuchten. Bei der Kalibrierung eines Messgerätes werden dessen Werte mit den Werten eines Kalibriernormals verglichen. Dieses Referenzgerät hat in der Regel eine deutlich höhere Genauigkeit als das zu prüfende Gerät und die Eigenschaften, welche gegenübergestellt werden, sind genau definiert. Die gemessenen Werte und Abweichungen werden letztendlich in einem Kalibrierzertifikat dokumentiert.
Abbildung: Art der Arbeiten und Ersatzmaterial aus den Auftragsdaten der APTOMET AG (07.2020 – 07.2021)
Die Kalibrierung erfolgt in der Regel bei einem externen Kalibrierlabor, welches sich auf den Bereich Elektrotechnik spezialisiert hat. Diese Dienstleister bieten Kalibrierungen nach unterschiedlichen Verfahren und zu ungleichen Preisen an. Letztlich liegt die Entscheidung beim Anwender, mit der Beauftragung einer akkreditieren Stelle ist man jedoch gut beraten. Diese in der Schweiz genannten SCS-Kalibrierstellen werden periodisch nach ISO 17025 überprüft. Das bedeutet, dass diese unabhängig sein müssen und das Fachwissen des Personals, die technische Infrastruktur, die Prozesse und die Kalibrierverfahren formelle durch die schweizerische Akkreditierungsstelle SAS anerkannt sind. Die Referenzgeräte der SCS-Kalibrierstellen sind zudem von übergeordneten Stellen, wie zum Beispiel dem Eidgenössisches Institut für Metrologie METAS, kalibriert.
Messwerte ausserhalb Toleranz
Eine gewisse Toleranz weist aufgrund der Konstruktion, der verbauten Teile und Umgebungsbedingungen jedes Messmittel auf und solange deren maximale Grösse, über welche der Hersteller in den technischen Daten Auskunft gibt, nicht überschritten wird, besteht auch kein Grund zur Sorge. Von einer Abweichung bei der Kalibrierung wird erst gesprochen, wenn die gemessenen Werte ausserhalb der zulässigen Toleranz liegen, wobei die Toleranz auch als Gesamtabweichung beschrieben werden kann.
Liegen also bei der Kalibrierung die Messwerte zwischen dem Anzeigewert des Gerätes und dem Referenzgerät weiter auseinander als erlaubt, sind folgende drei Konsequenzen denkbar. Erstens, das Gerät wird fachmännisch entsorgt, zweitens, es wir nur noch mit Vorbehalt eingesetzt oder drittens, es wird justiert oder repariert. Justieren bedeutet, dass Messgerät so eingestellt werden, dass sich die Abweichung so weit wie notwendig minimiert. Es können dabei, abhängig vom Messgerät, einer oder mehrere Messpunkte justiert werden. Dadurch, dass beim Justieren im Gegensatz zum Kalibrieren jedoch ein Eingriff in das Messsystem erfolgt, wird eine Nachkalibrierung unabdingbar.
Abbildung: Konformitätsaussage in einem Kalibrierzertifikat
Folgen einer Nichtkonformität
In der Regel können Messmittel justiert werden, die Frage ist höchsten, ob sich die Kosten einer Justierung im Vergleich mit dem Neubeschaffungspreises rentieren. Da eine Kalibrierung jedoch grundsätzlich zur Sicherstellung der Messwerte in der Vergangenheit gemacht wird, ist das Hauptaugenmerk bei einer Nichtkonformität ohnehin auf die Vergangenheit zu richten. Wer dies nicht macht, handelt scharf gesagt grob fahrlässig und macht sich allenfalls sogar strafbar. Demensprechend ist festzuhalten, dass nichts machen, mit Sicherheit die falsche Lösung ist.
Wenn die Ergebnisse einer Kalibrierung also ausserhalb der Toleranz sind, muss zwingend herausgefunden werden, ob die Abweichung sicherheitsrelevant ist. Dazu muss analysiert werden, welche Auswirkungen eine falsche Messung haben kann. Was können ungenaue Messwerte bei der Arbeit an Leitungen, Schutzeinrichtungen und -schaltern, Elektrogeräten oder Steckdosen zur Folge haben? Wie hoch ist das Risiko, dass Personen, Tiere oder Gebäude ernsthaft Schaden nehmen können?
Wenn diese Analyse ergibt, dass eine reelle Unsicherheit besteht, muss als nächstes festgestellt werden, für welche Messtätigkeiten das fehlerhafte Geräte eingesetzt wurde. Es muss davon ausgegangen werden, dass der gesamte Zeitraum zwischen der letzten korrekten Kalibrierung bis zur nun misslungenen fehlerverdächtig ist. Hinweise darauf zu finden, zu welchem Zeitpunkt zwischen den Kalibrierungen das Messgerät ausser Toleranz geraten ist, ist auch mittels Analyse vorhandener Messdaten sehr unsicher. Demzufolge bleibt einem einzig die Option anzunehmen, dass alle, während dem letzten Kalibrierintervall gemachten Messungen, betroffen sind.
Wer ist nun zu informieren und welche Massnahmen sind zu treffen? Das hängt von den gemachten Arbeiten ab. Sind auch Kunden betroffen oder reicht es Mitarbeiter, Teamleiter oder gesamte Bereiche zu informieren? Müssen Messungen wiederholt werden und wer übernimmt dabei die Führung und Verantwortung? Sollen oder müssen Vorkehrungen für die Zukunft (Verbesserungsprozess) getroffen werden oder reichen akute Korrekturmassnahmen? Diese und weitere Fragen sind zu klären und es zeugt von Stärke, in einer solchen Situation gründlich, zügig und transparent zu handeln.
Vorkehrungen
Eines in der Messtechnik ist sicher: Jeder Wert und jede Grösse verändern sich. Es ist nur eine Frage des Zeitpunkts. Folglich ist die periodische Kalibrierung von Messmittel oder gar die zusätzliche Validierung zwischen zwei Kalibrierungen die einzige Möglichkeit, um die Veränderung eines Messmittels frühzeitig zu erkennen. Der definierte Kalibrierintervall sollte bei täglichem Gebrauch des Messmittels nicht mehr als 12 Monate überschreiten und Umwelteinflüsse berücksichtig werden. Das Intervall ist ausdrücklich vom Anwender selbst zu bestimmen und eine Herstellerangaben ist ausschliesslich als Empfehlung zu verstehen. Zu guter Letzt ist es ratsam, für die Kalibrierung Labors zu berücksichtigen, welche eine Konformitätsaussage treffen. Diese Konformitätsaussage ist das Ergebnis der Kalibrierung, in eindeutiger und verständlicher Art und Weise, was dessen Interpretation für den Anwender erleichtert oder oft gar erst möglich macht.